Regelmäßig kommt es in Würzburg vor, dass ein Angeklagter zum Verhandlungstermin in seiner Strafsache nicht vor Gericht erscheint. Meistens erlässt das Gericht daraufhin einen Sitzungshaftbefehl, d. h. es wird angeordnet, den Angeklagten festzunehmen und ihn bis zum nächsten Verhandlungstermin in Untersuchungshaft zu halten.
Oft wird dabei von den Gerichten übersehen, dass Voraussetzung eines Haftbefehls ist, dass dieser „zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist“ (§ 230 Abs. 2 StPO).
Aus einem aktuellen Urteil des Kammergerichts Berlin ergibt sich anschaulich, dass mildere Mittel in Betracht gezogen werden müssen. Ein Haftbefehl – ist eigentlich – nur zulässig, wenn er wirklich erforderlich ist. Das Kammergericht führt dazu aus, dass beispielsweise die polizeiliche Vorführung angeordnet werden kann. In diesem Fall wird der Angeklagte nicht in Untersuchungshaft genommen, sondern die Polizei holt ihn daheim ab und bringt ihm zum Gerichtstermin. Das ist auch nicht angenehm, aber in jedem Fall besser: So sind einige Richter in Würzburg für Monate ausgebucht, so dass wegen eines sogenannten Sitzungshaftbefehls mehrere Monate U-Haft drohen können.
Das Kammergericht stellt weiterhin fest, dass alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind und ein Sitzungshaftbefehl unverhältnismäßig ist, wenn auch ohne den Haftbefehl die Erwartung gerechtfertigt ist, dass er zum nächsten Hauptverhandlungstermin erfolgreich vorgeführt werden kann (KG, 22.07.2019, 4 Ws 69/19-161 AR 169/19).
In dem Fall des Kammergerichts hatte der Angeklagte seine Abwesenheit dadurch entschuldigt, dass er angeblich verhandlungsunfähig sei. Er hatte sich in die Notaufnahme des Krankenhauses begeben und geschildert, dass er an starken Kopfschmerzen und Schwindel leide. Das Gericht hatte zunächst ausgeführt, dass dies keine Verhandlungsunfähigkeit begründe und auch trotz Kopfschmerz und Schwindel und einer im Krankenhaus diagnostizierten Kopfplatzwunde dem Angeklagten das Erscheinen in der Hauptverhandlung durchaus zumutbar gewesen sei. Da er nicht gekommen sei, bestehe die Gefahr, dass er sich dem Verfahren entziehen wolle.
Mit anderen Worten: Der Angeklagte hatte sich mit einer Kopfplatzwunde im Krankenhaus vorgestellt, das Gericht war jedoch der Meinung, dass er am Folgetag durchaus zum Verhandlungstermin hätte kommen können.
Der Rechtsanwalt des Angeklagten hatte vorgetragen, dass der Anklagte bislang zu jeder strafrechtlichen Verhandlung erschienen sei.
Die nächste Instanz hob den Haftbefehl auf wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es erläuterte, dass der Sitzungshaftbefehl allein der Verfahrenssicherung dient und nicht einen etwaigen Ungehorsam des Angeklagten bestrafen soll. Eine polizeiliche Vorführung wäre vorrangig gewesen.
Das Gericht hatte eine Vorführung noch nicht einmal versucht, sondern unmittelbar den Haftbefehl erlassen. So etwas kann nach Ansicht des Kammergerichts nur ausnahmsweise verhältnismäßig sein. Falls das Gericht in solchen Fällen direkt einen Haftbefehl erlässt, müsse aus der Begründung ersichtlich sein, dass das Gericht eine Abwägung zwischen der polizeilichen Vorführung und dem Haftbefehl vorgenommen hat.
Fazit
Die Entscheidung zeigt deutlich, dass ein Angeklagter sich mit gerichtlichen Entscheidungen – insbesondere der bayerischen Gerichte – niemals einfach abfinden sollte. Ein guter Rechtsanwalt für Strafrecht wird keine gerichtliche Entscheidung einfach akzeptieren, sondern immer hinterfragen. Ziel ist dabei immer, die Rechte des Mandanten zu warnen und seine Freiheit zu sichern.