In vielen Strafverfahren stellt sich die Frage nach einer Therapie. Häufig kann dadurch eine lange Freiheitsstrafe vermieden werden. Wenn ein Angeklagter zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt wird, besteht im Falle einer Therapie nach § 64 StGB die Möglichkeit, dass er nach erfolgreichem Abschluss der Therapie entlassen wird.
In der Praxis kann dies bedeuten, dass er beispielsweise ein halbes Jahr in U-Haft verbracht hat, dann zu 5 Jahren verurteilt wird, unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung eine Therapie antritt und damit im Ergebnis nach etwa 2,5 bis 3 Jahren entlassen wird.
In derartigen Fällen ist der Betroffene medizinisch zu begutachten. Nach § 64 S. 1 StGB muss dabei ein Hang festgestellt werden, Alkohol oder Drogen im Übermaß zu sich zu nehmen. Auf gut Deutsch: der Betroffene muss süchtig sein.
In vielen Verfahren wurde diese Frage nach der Sucht abgelehnt, weil der Gutachter eine ausdrückliche Abhängigkeit nicht bejaht hat. Nach einem neuen Urteil des Bundesgerichtshofs könnte nun für viele Angeklagte die Chance auf eine Therapie bestehen:
Im Urteil hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines „Hanges“ eben nicht nur dann gegeben sind, wenn eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit gegeben ist. Vielmehr genüge bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne, dass jedoch gleichzeitig eine physische Abhängigkeit bestehen muss.
Es ist danach nicht mehr erforderlich, dass der Gutachter eine Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit feststellt. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass das Fehlen solcher Beeinträchtigungen den Hang im Sinne des § 64 StGB nicht ausschließt (BGH 23.01.2018, 3 StR 579/17; BGH 04.04.2018, 3 StR 129/18).
Auf gut Deutsch bedeutet das
Bisher war es so, dass der Gutachter eine Sucht bzw. Abhängigkeit feststellen musste, die unter anderem zu Beeinträchtigungen der Gesundheit oder der Leistungsfähigkeit führte. Wenn das nicht festgestellt wurde, hatte der Angeklagte keine Chance auf eine Therapie und damit eine mögliche Haftzeitverkürzung.
Die neue Entscheidung des BGH berechtigt zu der Hoffnung, dass in Zukunft geringere Voraussetzungen hinsichtlich der Sucht gestellt werden. Überspitzt formuliert: Eine krasse Abhängigkeit wird in Zukunft nicht mehr erforderlich sein.